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Mein Weit – dein Weit. Der Berliner Höhenweg

Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Treffen wir uns dort.- Rumi

„Wie ist denn deine ungefähre Routenplanung für den Berliner Höhenweg?“, so Andi’s Frage zwei Tage vor unserem Berliner-Höhenweg-Zeitfenster. Die berühmte Runde im Naturpark Zillertal zu laufen hatten wir schon länger ins Auge gefasst. Eigentlich noch in diesem Sommer. Und der Sommer vergeht unglaublich schnell. Schon fällt der erste Schnee im Zillertal – es wird Zeit die Tour anzugehen.

Berliner Höhenweg

Ja, so 30km und 2000-2500hm pro Tag, drei Tage, das müsste ich schaffen, denke ich mir. 95km, 7400hm hat der Berliner Höhenweg offiziell.

„Eine Tour, die alle „Weight Watchers“-Programme in den Schatten stellt“, so die Redbull Dokumentation über Markus Kröll, der die gesamte Strecke als erster in unter 24 Stunden lief. Ohne mehr als ein paar Minuten Pause oder gar Schlaf. Und Daniel Jung hält aktuell den Rekord (fastestknowntime) von 18h 11min. Normalsterbliche bewältigen das hier in sechs bis acht Tagen! 

Wir starten in Finkenberg (ganz offiziell läuft man am Europahaus in Mayrhofen los). Dort oben parken wir das Auto, und müssen natürlich übermorgen auch wieder hier rauf, aber das sehen wir dann wie…
Es geht gleich zur Sache. In sechs Kilometern 1000 Höhenmeter rauf auf die Gamshütte. Am Ende des heutigen Tages werden wir knapp 26km und 2500hm gelaufen sein. Über Stock und Stein, ja vor allem Stein, sehr viele davon. Plattenhüpfend geht es für uns vom Sommer in den Winter, von grasig-nassen schmalen Trails am steilen Berghang entlang bis in die erste verschneite Scharte (2620m) nach dem Friesenberghaus. Doch recht frisch hier. (Tag 1 auf Strava)

Die erste Nacht auf der Olpererhütte (2300m). Was für ein Luxus – warme Duschen, warmes Wasser aus dem Hahn. Damit rechne ich eigentlich auf Hütten gar nicht. Gutes Essen. Aber wie Menschen in Lagern nachts das Fenster zu machen können werde ich nie verstehen…  

Nach reichhaltigem Frühstücksbüffet starten wir in Tag 2. Gleich im ersten Downhill hinab zum Schlegeisspeicher, noch etwas verschlafen von der sauerstoffarmen, CO2-lastigen Nacht, übersehe ich einen von Gras bedeckten Stein und der rechte Knöchel knickt blöd um. Kurz fährt ein stechender Schmerz in den Fuß, ist danach aber sofort wieder weg. Etwas unsicher und entsprechend vorsichtig laufe ich langsamer weiter – das wird sicher kein Strava-Krönchen bergab…

Am Speichersee wählen wir – nach sms-Rücksprache mit Local Markus Kröll und Erkundigung beim Hüttenwirt eine Variante: statt über das Schönbichler Horn – mit 3134m der höchste Punkt des Höhenwegs – hinab zum Breitlahner und von dort wieder aufsteigend zur Berliner Hütte, der Berühmten. Über Horn und Grat liegt aktuell doch so viel Neuschnee, dass es für uns mit Minimalausrüstung wohl nicht so spaßig geworden wäre. Später sagen wir uns – es war die richtige Entscheidung. 

Die Pause mit warmer Suppe und Kaiserschmarrn auf der Berliner Hütte hat ausgereicht, dass die Wolken aufreißen. Über die nördliche Mörchnerscharte (2870m) geht es durch Schnee, gespurt ist der Weg schon. Die Trail-Spikes ziehe ich für den steileren Abstieg gerne über, damit ich sie nicht umsonst mitgenommen habe. Wirklich brauchen wir sie hier nicht, Andi gar nicht. Am Schönbichler Horn wären sie aber sicher bei uns beiden zum Einsatz gekommen.

Hinab über ein paar verseilte Stellen, eine Leiter (keine Sorge, völlig harmlos, die offizielle Beschreibung übertreibt da etwas) und auf der anderen Hangseite wieder hinauf zur Greizer Hütte (2227m) wo wir Nacht 2 verbringen. Gemütlich. Diesmal nur kaltes Wasser aus dem Hahn, dafür ein 8er Zimmer für uns alleine, absolute Ruhe und viel Frischluft. (Tag 2 auf Strava)

Berliner Höhenweg Tag 3
Blick von der Lapenscharte – drüben im Gegenhang die Kassler Hütte, und dort werden wir erst ein Drittel des Tagespensums geschafft haben!

Der dritte Tag beginnt wieder bergauf – jetzt merke ich langsam, dass wir uns seit Tagen ständig auf 2200m bis fast 2900m über Seehöhe bewegen und auf 2200m und 2300m schlafen – zur Lapenscharte (2730m) hinauf, 500 Höhenmeter in 40 Minuten (💪😎) , durch blockiges Gelände hinab und plötzlich sieht man wohin wir heute noch laufen werden. WEIT. Oh wie verdammt weit ist das. Ich bekomme einen ordentlichen Schreck und weiche Knie, was auf technischen Trails zum flotten Vorwärtskommen nicht gerade zuträglich ist…

Bis zur Kassler Hütte kämpfe ich innerlich gegen das Gefühl „ich kann nicht mehr, mein Körper ist so müde, wie soll ich das noch schaffen“ an. Aber Heulen hilft jetzt auch nicht, es gibt hier keinen kürzeren Weg raus. Nach Trost-Gummibärchen und einer mentalen Pause auf der Hütte mit zwei Kaffee und Hollerwasser ist auch mein Kopf wieder gestärkt und weiter geht’s. 

„Des Schmankerl kommt zum Schluss 😉 “ kommentierte Büffel 73 auf Strava. Damit meinte er wohl, dass ab hier nun die wahre Plattenkletterei beginnt. Wo es bisher nur über kleinere Steinplatten ging, kommen jetzt die wirklich großen Blöcke. Pace kann man (ich, wir) hier nicht machen. Wie bitte laufen Markus Kröll und Dani Jung das alles??? Segen und Fluch zugleich: wir haben bestes Wetter, traumhafte Sicht und – im Gegensatz zu Katrin und Marc –  sehen wir das kommende „14km Elend“ ausgezeichnet: wie sich der Weg hoch über dem langen Tal am Hang entlang weiter, immer hoch und runter, mal schmal an der Steilwand entlang mit Seilpassagen, dann wieder durch weites Blockmeer zieht. 

Nein, natürlich nicht Elend. Wunderwunderschön ist es hier. Es sind drei Tage traumhaftes Traillaufen und Trailwandern, trotz aller Anstrengung gewesen. Keinen einzigen Schritt bereue ich hier und – ja – ich würde sofort wiederkommen und die Runde nochmal laufen (dann aber inklusive Dreitausender). Am Ende bin ich zwar wirklich am Ende, und entscheide mich sogar, die dritte Nacht noch auf der Karl-von-Edelhütte zu verbringen statt die letzten 1500 Höhenmeter bergab noch nach Mayrhofen hinunterzulaufen. (Tag 3 auf Strava) Ich mag einfach nimmer. Und der Sonnenuntergang am Berg, der Sternenhimmel in der Nacht antworten mir: es war die richtige Entscheidung für mich. Andi ist in ner Stunde drunten… 

Am Ende des dritten Tages stelle ich so fest: „Eigentlich ist mein Limit für dich ein netter Trainingslauf…“ womit wir wieder bei der Verschiedenartigkeit von „weit“ sind. Mein Weit ist nicht dein Weit. 

Aber für die anderen Wanderer auf der Hütte – für die ist mein Weit schon gar nicht erst fassbar. Jeder hat seine eigene Definition. Wir Trailrunner sind die Typen und Typinnen, die durch die Berge rennen. Der Wanderer geht über dieselben Pfade. Wahrscheinlich sind wir alle sogar mit dem gleichen Puls unterwegs und jeder genießt auf seine Art begeistert die Natur. Es macht uns genauso Spaß, dem Wanderer wie dem Trailläufer, für beide ist es etwas Besonderes. Ganz egal wie schnell, wie weit, wie hoch wer an einem Tag läuft. 

Und weil es für jeden etwas Besonderes ist darf er – zwar zurück in der Zivilisation, aber noch total geflasht – den Freunden davon erzählen, sie daran teilhaben lassen wie ich euch hier an unserem Berliner-Höhenweg-Erlebnis. Vielleicht mag es euch inspirieren, euren Berliner Höhenweg zu suchen und zu laufen.

Instructions for living a life: Pay attention. Be astonished. Tell about it.
Mary Oliver

Berliner Höhenweg
Morgenstimmung über dem Zillertal

📷 mal da Andi, mal ich.