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La dolce vita! La matta vita?

„Tu sei matta!“ Ihr seid verrückt!! lautet der impulsive Kommentar unserer Hotelchefin, als wir ihr erklären, warum wir am Sonntag gerne schon um 6 Uhr morgens frühstücken würden. 43 Kilometer laufen und das mit mehr als 2000 Höhenmetern ist für die italienische Signora unvorstellbar. Für uns dagegen nach bereits absolvierten Ultras eigentlich eher eine Renndistanz von Mittelformat.

Der CMP Trail in Bassano del Grappa. Oberhalb von Venedig am Fuß der Dolomiten. Trails in goldene italienische Herbststimmung getaucht. Wenn diese Fakten zur Überzeugung nicht schon reichen: Der Ort wurde 2018 als „Citta sportiva“ ausgezeichnet und ist natürlich für seinen namensgebenden Grappa berühmt.

Davon gab’s auch gleich ein Flascherl im Startpaket, dass wir am Vortag des Rennen in einer venezianischen Villa abholten (aber nicht gleich leerten!). Grappa und dolci – die Region, neben gutem Essen und Trinken auch für ihre Architektur bekannt (Andrea Palladio hat hier im 16. Jahrhundert die Brücke und einige Villen entworfen), lädt dazu ein, ein paar Tage länger zu verweilen. Die Villa Angarano, seit 1996 Weltkulturerbe der UNESCO und heute Sitz eines Bio-Weingutes, ist Start- und Zielgelände des Rennens, das 2018 zum dritten Mal statt fand. Eine besondere Stimmung, im hübsch restaurierten historischen Innenhof Expo, Pastaparty, Zieleinlauf und Siegerehrung zu erleben.

Angeboten werden hier drei verschiedene Strecken: am Samstag der CMP Youth Trail für die Kleinen mit 7 Kilometern und 200 Höhenmetern, am Sonntag der CMP Trail short, 18 Kilometer mit 650 Höhenmetern und der CMP Trail long, 43 Kilometer mit 2200 Höhenmetern. Bei den Italienern scheint die Kurzstrecke deutlich beliebter: knapp 800 Teilnehmer, wogegen auf dem Trail long nur 250 Läufer starten. Im Unterschied zu den ersten beiden Austragungsjahren wurde 2018 die Strecke umgekehrt. Nun heißt es, nach etwa drei Kilometern flachem Einlaufen am Fluss Brenta entlang (wo sich natürlich keiner „einläuft“ sondern jeder lossprintet…) geht’s auf weniger als fünf Kilometern gleich mal 1000 Höhenmeter am Stück hoch. 20% Steigung also. Ich bin sehr dankbar, dass ich meine Stöcke mitgenommen hab, damit kann ich den in Serpentinen verlaufenden schmalen Pfad flott hochschieben. Alles gut laufbar, zumindest für die mit Enzo Romeri, Davide Cheraz, Raul Rota und Sebastian Hallmann sehr stark besetzte Spitzengruppe. Bei den Frauen ist die diesjährige UTMB-Siegerin am Start – Francesca Canepa, für die 43 Kilometer eigentlich ein „warm-up“ sind, neben der auf dieser Distanz fast unschlagbaren Favoritin Silvia Rampazzo, die bereits im Vorjahr das Rennen überlegen gewonnen hatte.

Den ersten langen Anstieg geschafft, werden wir mit einem großartigen Panorama belohnt. Da hier die letzten Ausläufer der Dolomiten steil in die Poebene abfallen, sieht man an klaren Tagen den Apennin. Ich hab jedoch keine Zeit für den tollen Ausblick – ich bin schon so ins Rennen eingetaucht, dass ich gerade nur die Markierungen, die Läufer um mich herum und die Verpflegungsstationen wahrnehme. Und die Kuhherde, mit Pferden und einer Eselmama mit ihrem Jungen durchmischt, die auf der Hochebene weiden und keinen Schritt zur Seite weichen. Ein bisschen mutet die Landschaft hier oben wie in England oder Wales an. Ein italienisches Snowdonia. Nach dem bewaldeten Anstieg plötzlich frei, grün, weit. Steinmäuerchen, Wiesenhänge.

Kurze Zeit später tauchen wir wieder ab in die typisch italienische Macchia – ein Serpentinenpfad, diesmal downhill. Wow, wie schön, abwechslungsreich, gerade so technisch, dass man noch richtig schnell runterrennen kann. Ich vergesse fast, dass ich noch 35 Kilometer vor mir habe und gebe richtig Gas, einfach glücklich über das flowige Gefühl dabei. Es folgt ein Auf und Ab an Singletrails, wenn auch mit einigen echt anspruchsvollen steinig-erdigen Passagen, feucht-matschig von dem Regen in der Nacht und am Vortag. Der Downhill-Part ist schnell vorbei und wir stehen vor dem nächsten längeren Anstieg, vor den nächsten 500 Höhenmetern bergauf. Stöcke wieder raus, an die Arbeit.

Entgegen unserer Erwartung ist hier übrigens fast alles Trail. Am Vortag haben wir beim Gespräch mit den Organisatoren noch die Fotos von der Strecke durchgeblättert, die dem Führungsradler zur Orientierung dienen. „Ach, fast alles Autobahn“, so die einstimmige Ansicht,. Hui, weit gefehlt – natürlich zum Glück, weit gefehlt!! Fast gar nichts „Autobahn“, so gut wie nichts Forststraße, ab und zu ein paar 100m vielleicht. Die Fotos waren wohl nur von den wenigen Punkten, an denen man von normaler Straße zum Trail gelangt. Diese Rennstrecke kann sich wirklich durchweg (vom Trailrunner) sehen lassen. Zwei-, dreimal quert man in einem Dörfchen die Straße, aber nur, um unmittelbar zwischen den pittoresken Häuschen und Steinmäuerchen wieder auf Gras- oder auf dem Waldpfad zu verschwinden. „Unterholz“ wäre übertrieben – so dicht war der Bewuchs nirgends. Aber ich hatte trotzdem immer wieder das Gefühl, hier lauter verborgene Geheimpfade und Schleichwege laufen zu dürfen, durch so manchen Vorgarten, durch den ein oder anderen Olivenhain, am Ende durch „La Grotta“, einen steinig-steilen Graben, mit aktuell wenig Wasser, aber die matschige, nasse Erde auf den Steinen reicht dafür aus, dass sich hier hinunter so mancher Läufer lang macht. Da es aber kein zu gefährliches Absturzgelände war, hinterlässt ein Sturz hier zum Glück nur einen dreckigen Hosenboden und vielleicht ein paar Schrammen. Vor der anspruchsvollsten Stelle steht ein Streckenposten und warnt die Läufer vor.

Erstaunlich, wie man 43 Kilometer so konstant auf schmalen Pfaden und Steigen zusammen setzen kann. An dieser Stelle ein großes Lob an die Organisatoren für die Markierung. Für mich war alles gut erkennbar ausgeschildert, mit orangen Bändern in den Bäumen, ab und an Pfeilen und Schildern und an kritischen Stellen wie Straßenquerungen Streckenposten, die den Verkehr anhielten und – auf italienisch – Anweisungen zuriefen. Die zwar ab und zu etwas verwirrend waren, da sie der laut Streckenprofil auf der Startnummer noch zu laufenden Kilometerzahl teils widersprachen… Aber stets war ein aufmunterndes „Brava, brava, tu sei forza!“ dabei.

Auch wenn sich auf der kurzen Strecke wohl ein Teil der Spitzengruppe dieses Jahr verlaufen hat, mit ein bisschen Aufmerksamkeit braucht man sich keine Gedanken machen, wenn man ohne ein Wort italienisch zu verstehen an diesem Rennen teilnehmen möchte. Nur muss man damit rechnen auch im Falle eines Sieges nur in der Landessprache gefeiert zu werden. Die Anzahl der Nicht-Italiener ist hier (noch) sehr gering. Als 14. Frau war ich zugleich die erste Deutsche im Ziel (sowohl m als w).

Der Schnellste auf der Strecke war in diesem Jahr Davide Cheraz (Salomon). Er gewinnt mit 3:41:36 knapp vor Enzo Romeri (3.44.32) und dem Franzosen Julien Jorro (3.53.33, Team Garmin). Unter den Frauen siegte erneut Silvia Rampazzo (Tornado), mit 4:13:17 und damit gut 27 Minuten (!) Vorsprung vor der Zweiten, Daniela Rota (4.40.44, Team La Sportiva), und der Dritten, Francesca Canepa (4.47.19, Atletica Sandro Calvesi).

Vielleicht ändert sich das mit dem internationalen Anteil an Läufern 2019 ja – im Rahmen eines herbstlichen Ausflugs ins „Bella Italia“, mit Schönwetter-Garantie, lässt sich dieses Rennen auf jeden Fall empfehlen. „La Dolce Vita“ und „La Matta Vita“ in einem – „insane inside“ sind wir Trailrunner ja alle ein bisschen.

PS: Es hat mich sehr gefreut, auf diesem Weg Sandra Mastropietro und Sebastian Hallmann kennengelernt zu haben!